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Linsen galten früher als Arme-Leute-Essen, dementsprechend sank der Verbrauch ab den 50er Jahren. Mit dem Trend zur vegetarischen und veganen Küche feiern die eiweißreichen Hülsenfrüchte ein kulinarisches Comeback. Längst sind sie in Feinschmeckerrezepten zu finden, kreative Küchenchefs erfinden neue Linsengerichte und neue oder wieder entdeckte Sorten bringen bunte Abwechslung in die Küche.
Claudia Rawer 2/5 und Tino Richter
2016 hat die UNO zum «Internationalem Jahr der Hülsenfrüchte» ernannt. Vor rund 100 Jahren wurden Linsen deutlich häufiger angebaut als heute. Dabei gehören Linsen zu den ältesten Lebensmitteln der Weltgeschichte. Linsengerichte aß man in Ägypten, Griechenland und im alten Rom und gab sie auch den Verstorbenen mit ins Grab. Heute noch ist die Linse in manchen Gegenden eine Trauerspeise, da sie auch zum Gedenken an Abrahams Tod von Hebräern und Moslems verzehrt wurde.
Aus der Küche des vorderen Orients und Indiens ist sie nicht wegzudenken. Nur wir Zentraleuropäer verzehren pro Kopf und Jahr weniger als ein Kilogramm Linsen – dafür aber 20 Kilo Käse, 12 Kilo Bananen und 10 Kilo Schokolade. In den 50er Jahrenbetrug der Verbauch noch über 1,5 Kilogramm. Das mag damit zu tun haben, dass Linsen lange Zeit – auch schon bei Griechen und Römern – als Arme-Leute-Essen galten.
Ein weiterer Grund ist, dass mit dem Aufkommen der maschinellen Landwirtschaft die zarten, in Bodennähe wachsenden Rankenvon den Maschinen schlecht aufgelesen werden konnten. Heute ist wieder ein Anstieg des Linsen-Anbaus zu verzeichnen. Leguminosen, so die botanische Bezeichnung für Hülsenfrüchte, sind in der biologischen Landwirtschaft bei der Anbaufolge vorgeschrieben, da mineralischer Dünger verboten ist.
Linsen, Erbsen, Sojabohnen oder Kichererbsen besitzen nämlich die Fähigkeit, den Stickstoff aus der Luft zu binden. Dieser dient der Folgekultur als natürlicher Dünger. Den Stickstoff nutzen die Pflanzen auch für den Aufbau von Aminosäuren und Proteinen. Diese wiederum machen Hülsenfrüchte zu so wertvollen Lebensmitteln. Forscher der Universität Hohenheim in Stuttgart haben nun auch das Anbauproblem gelöst: Werden Linsen gemeinsam mit Erbsen angepflanzt, dienen diese den Ranken als Stützfrüchte: So können die Linsen besser von Erntemaschinen erfasst werden.
Linsen gehören zu der Familie der Schmetterlingsblütler und damit zu den Hülsenfrüchten, wie Erbsen und Bohnen. In den kleinen runden Dingern steckt eine Schatzkammer von Nährstoffen. Sie enthalten so viel Eiweiß wie kein anderes pflanzliches Nahrungsmittel, nämlich 20 bis 25 Prozent, und stellen damit besonders in der vegetarischen Küche eine sehr wertvolle Ressource dar.
Einhundert Gramm gegarte Linsen enthalten etwa sieben Gramm Protein, dessen Verfügbarkeit für den Körper durch die Kombination mit Kartoffeln, Reis, Mais oder anderen Gemüsen sogar noch verbessert wird. Zudem sind sie fettarm (weniger als 2 Prozent) und vitamin- und mineralstoffreich. Sie haben vor allem Vitamine der B-Gruppe (B1, B2, B6 und Biotin) zu bieten, außerdem Vitamin E, Folsäure und wichtige Mineralstoffe wie Magnesium, Kupfer, Eisen und Zink.
Gut für uns ist auch der hohe Gehalt an Ballast- und Faserstoffen, die sättigen, verdauungsfördernd wirken und überschüssiges Cholesterin abbauen helfen. Zu guter Letzt sind Linsen auch noch reich an «guten» Kohlenhydraten (bis zu 50 Prozent), die durch die lange Verdauungszeit nur langsam ins Blut gelangen.
Kulinarisch interessanter als mit Omas Tellerlinse werden Küchenausflüge mit kleinen, aromatischen und schnell garenden Linsensorten. Rote oder Dal-Linsen sind geschälte braune Linsen (geschälte Hülsenfrüchte sind leichter verdaulich, enthalten aber auch weniger Mineralstoffe und Vitamine). Rote Linsen haben einen milden Geschmack, sind leicht mehlig und haben eine sehr kurze Garzeit. Damit die rote Farbe erhalten bleibt, sollten diese Linsen nur leise unter dem Siedepunkt garen. Sie eignen sich gut für Suppen (zum Beispiel auch in einer klassischen Gemüsesuppe), asiatische Speisen und Pürees.
In Indien, Thailand, Malaysia und Indonesien liebt man Pürees und Saucen aus roten Linsen, die mit Ingwer, Chilischoten, Knoblauch und Limettensaft kräftig gewürzt werden, ebenso wie Linsen-Curries. Der bekannte Koch Roy Kieferle, Pionier der Naturkostküche, bereitet aus roten Linsen auch eine pikante Linsencreme mit Balsamico- Essig, Majoran und Knoblauch zu, die sich als delikater Brotaufstrich und zum Füllen von Gemüse eignet.
Die edlen grünen oder Puy-Linsen kommen aus Frankreich und sind dort sehr beliebt. Klein und rundlich, haben sie eine dunkelgrüne, manchmal fast graue Schale und sind oft mit kleinen dunklen Pünktchen gefleckt, schmecken nussig bis pfeffrig und sind sehr vielseitig einsetzbar. Das bekannteste Rezept ist sicher die «Salade de lentilles du Puy», ein lauwarmer, pikanter Linsensalat mit Cidre- oder Balsamico-Essig, Walnussoder Traubenkernöl.
Dieser Salat harmoniert beispielsweise mit Käse ganz ausgezeichnet. Die gut verträglichen grünen Linsen eignen sich aber auch für alle klassischen Linsengerichte, denen man einen besonderen Pfiff geben will, und sind als Beilage eine kleine Köstlichkeit – gerade im Winter, wenn die Auswahl an frischen Gemüsen etwas eingeschränkter ist.
Die schwarzen oder Beluga- Linsen sehen roh rabenschwarz aus, nach dem Kochen hellen sie sich in ein feines, mattes Perlgrau auf. Sie schmecken fein-würzig, sind nach etwa 20 Minuten wunderbar zart und eignen sich ganz besonders als Beilage zu Fisch. Rotbarbe, Zander oder Thunfisch mit Belugalinsen und einer Safran-, Senf- oder Currysauce sind kulinarische Köstlichkeiten, die einem das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen.
Weitere Linsen-Rezepte:
Ungekochte Linsen enthalten wie fast alle Hülsenfrüchte gesundheitsschädliche Glykoside, zum Beispiel Phasin, das die roten Blutkörperchen miteinander verkleben lässt. Das Phasin in rohen Hülsenfrüchten kann blutende Magen-Darm-Entzündungen hervorrufen. Diese Glykoside werden aber beim Kochen unschädlich gemacht. Der kleine Wermutstropfen in den gesunden Früchtchen besteht darin, dass sie auch Purin (eine stickstoffreiche organische Verbindung) enthalten, das vom Körper zu Harnsäure verarbeitet wird. Zuviel Purin kann nicht mehr ausgeschieden werden und reichert sich deshalb im Blut an.
Menschen mit Gicht, Nieren- und Magenerkrankungen sollten daher Hülsenfrüchte eher meiden. Linsen sind, vor allem aufgrund des hohen Zelluloseanteils, nicht leicht verdaulich – aber sie müssen auch nicht schwer im Magen liegen. Kräuter und Gewürze wie Bohnenkraut, Rosmarin, Thymian und Salbei, Curry, Ingwer, Nelken, Knoblauch, Koriander und Chili harmonieren nicht nur ausgezeichnet mit dem Linsengeschmack, sondern helfen auch bei der Verdauung.
Bei uns am bekanntesten sind Tellerlinsen – diese braunen, relativ großen und mehligen Linsen, aus denen die klassischen Linsengerichte zubereitet werden: Linsensuppe, Eintöpfe, Linsengemüse (zum Entsetzen von Nicht-Schwaben dortzulande mit Spätzle serviert). Braune Linsen gibt es jedoch in unterschiedlichen Größen und Farbschattierungen: Sehr kleine, hellbraune Linsen kommen ursprünglich aus Frankreich. Sie gelten als besonders fein-aromatisch und werden auch Champagnerlinsen genannt.
Kleine Linsen sind den großen oft geschmacklich überlegen. Sie haben den höheren Schalenanteil, und in der Schale sitzen die für den typischen Geschmack ausschlaggebenden Aromastoffe. Ebenfalls kleinere braungrüne Berglinsen sind fester und aromatischer als Tellerlinsen, würzig und nussig im Geschmack und zerfallen nicht so leicht. Aus ihnen werden oft auch die knackigen Sprossen für Salate und vieles andere gezogen.
Beim Keimen werden übrigens die gefährlichen Stoffe in den Hülsenfrüchten ebenfalls fast völlig abgebaut. Simple, preisgünstige Tellerlinsen sind aber nicht nur für die Linsensuppe brauchbar. Ein altes Hausmittel bei entzündlichen und chronischen Gelenkproblemen ist das «Linsen-Wühlen». Man taucht die Hände in einer Schüssel trockener Linsen und bewegt sie darin. Das fühlt sich gut an, hält beweglich und kühlt heiße Fingergelenke.
Einweichen oder nicht? Beim Kochen salzen oder nicht? Darüber wird immer noch gestritten. Oft wird bei Hülsenfrüchten empfohlen, sie vor dem Kochen einige Stunden oder sogar über Nacht einzuweichen, was die Zubereitung manchmal umständlich macht. Gerade bei Linsen ist aber in aller Regel ein Einweichen nicht nötig, da es praktisch keine Linsen gibt, die nicht weich werden. Im Gegenteil – beim Garen von Linsen sollte man darauf achten, dass sie nicht zu lange kochen, sie können matschig werden. Eine Ausnahme beim Einweichen sind höchstens Tellerlinsen, die schon ein paar Jahre im Küchenschrank auf dem Buckel haben.
Sehr häufig wird auch gesagt, man solle während des Garens kein Salz zufügen, die Hülsenfrüchte blieben sonst hart. Diese Empfehlung ist aber nur eingeschränkt zu befolgen: fügt man das Salz zu spät zu, kann es nicht richtig in die Linsen eindringen und sie bleiben fade. Viel wichtiger ist, dass Linsen niemals sprudelnd kochen dürfen. Ihr großer Eiweißanteil führt dazu, dass sie dann tatsächlich ungenießbar werden: Eiweiß nimmt zu große Hitze übel, indem es hart wird.
Richtig ist aber, dass säuerliche Zutaten, die ja ebenfalls hervorragend mit Linsen harmonieren, wie Essig, Zitronensaft, Wein, Tomaten oder Apfel erst gegen Ende der Garzeit zugegeben werden sollen. Da Linsen beim Kochen oft etwas schäumen und dieser Schaum bitter schmeckt, ist es empfehlenswert, sie nach dem ersten Aufkochen ein- bis zweimal abzuschäumen. Das spricht auch gegen eine Zubereitung im Schnellkochtopf, obwohl sie die Garzeit stark verkürzt: durch das Schäumen wird das Linsengericht weniger schmackhaft.