Glutamat ist noch immer in der Diskussion, auch unter Experten. Wichtig ist, natürliches Glutamat von dem isolierten Geschmacksverstärker Natriumglutamat zu unterscheiden.
Autorin: Ingrid Zehnder
Lange wurde der isolierte Geschmacksverstärker Natriumglutamat für die «China-Restaurant-Symptomatik» verantwortlich gemacht. Die Studienlage dazu ist noch immer nicht ganz eindeutig. Fachleute fordern weitere Doppelblind-Studien zu dem Sachverhalt. Wichtig zu wissen ist, dass Glutamat auch ganz natürlich in Nahrungsmitteln vorkommt.
Glutamat geriet Ende der 1960er-Jahre erstmals in die Diskussion. Nach dem Essen asiatischer Gerichte beschrieben immer mehr Menschen in Europa Symptome wie Schweissausbrüche, Übelkeit, Kopf-, Hals- und Nackenschmerzen. Diese Unverträglichkeitsreaktionen, die kurz nach dem Verzehr auftreten und meist nach einiger Zeit wieder vergehen, wurden dem Glutamat zugeschrieben und «Chinarestaurant-Syndrom» genannt. Tatsächlich wird der Geschmacksverstärker in Asien in Unmengen verbraucht, denn dort liebt man den – neben bitter, sauer, salzig und süss – fünften Geschmack umami. Gemeint ist damit die herzhafte, fleischig-würzige, bouillonartige Note von eiweissreicher Nahrung. Genau genommen, schmeckt vor allem das Glutamat, das nicht nur geschmacksverstärkend wirkt, sondern einen eigenen Geschmack hat, eben umami.
Die Reaktionen auf Glutamat in asiatischen Gerichten wurden auf die Überempfindlichkeit Einzelner zurückgeführt. Eine medizinische Methode oder einen Test, die Unverträglichkeit (es handelt sich nicht um eine Allergie!) herauszufinden bzw. nachzuweisen, gibt es bis heute nicht. Wissenschaftler sehen die Ursache für die Intoleranz darin, dass der Stoffwechsel mit einem Übermass an Glutamat kurzfristig überfordert ist. Wann das Mass überschritten ist, scheint individuell verschieden.
Chemisch gesehen, sind Glutamate Salze der Glutaminsäure, die in Biologie und Medizin ebenfalls meist Glutamat genannt wird. Die Aminosäure Glutamat wird im Körper selbst täglich im normalen Stoffwechsel gebildet. Glutamat ist Baustein von Eiweissen, an der Bildung anderer Aminosäuren beteiligt und wichtig für die Entwicklung des Nervensystems. Es wirkt an der Regulation des Harnstoffzyklus mit und ist für bestimmte Gewebe, insbesondere den Darm, eine wesentliche Energiequelle.
Auch im Gehirn spielt Glutamat eine wichtige Rolle. Als Neurotransmitter ist es an der Übertragung von Signalen zwischen Nervenzellen beteiligt. Unter anderem wird Glutamat gebraucht für die Schmerzübertragung, die Gedächtnisleistung, das Körperwachstum, die Gewichtsregulierung und die Appetitsteuerung. Die Zellen des Gehirns produzieren die dafür benötigte Glutaminsäure selbst.
Glutamat kommt natürlicherweise praktisch in allen tierischen und pflanzlichen Lebensmitteln vor: vom Käse über Nüsse, Getreide, Gemüse, Eier, Fleisch, Fisch bis zu Milchprodukten (auch Muttermilch).
In Nahrungsmitteln kommt das natürliche Glutamat in zwei Formen vor: «Gebunden», wenn es mit anderen Aminosäuren verbunden ist und ein Protein bildet, oder in «freier» Form, die dem Körper unmittelbar zur Verfügung steht. Gebundenes Glutamat wird erst während des Verdauungsprozesses freigesetzt. Zwar ist es dann nicht mehr von freiem Glutamat unterscheidbar, kann aber keine sofortige, unangenehme Reaktion hervorrufen. Die Differenzierung ist noch aus einem weiteren Grund wichtig: Nur freies Glutamat spielt eine wichtige Rolle für den Geschmack.
Die Glutamatgehalte in Lebensmitteln bewegen sich im Milligramm-Bereich, gerechnet auf 100 Gramm. Spitzenreiter beim Glutamatgehalt sind zwei Käsesorten: Roquefort (1280 mg) und Parmesan (1200 mg). Reichlich Glutamat enthalten auch Sojasauce (1090 mg/100 g), reife Tomaten (Frucht 140 mg, frischer Saft 260 mg), Pilze, Erdnüsse, Traubensaft, Erbsen, Brokkoli, Huhn (44 mg) und Rindfleisch (33 mg).
Zu dem Glutamat aus natürlichen Quellen können recht grosse Mengen dazukommen. Denn freies Glutamat ist nicht nur typisch für asiatische Gerichte, sondern wird auch bei uns allen möglichen Fertiggerichten und Würzmitteln zugesetzt. Das Gesetz verlangt, dass der geschmacksverstärkende Zusatz deklariert wird. In der Liste der Lebensmittelzusatzstoffe werden neben der Glutaminsäure (E 620) auch ihre fünf Salze aufgeführt:
Am häufigsten wird E 621 verwendet, die anderen Salze haben den gleichen Effekt. In Lebensmitteln ist der Zusatz bis zu einer Menge von 10 Gramm je Kilo zugelassen. Für Gewürzmischungen gibt es keine gesetzliche Grenze. Kein Glutamat darf zugesetzt werden bei Babynahrung, Milch, nicht emulgierten Ölen und Fetten, Teigwaren, Kakao- und Schokoladenerzeugnissen sowie Fruchtsäften.
Gewonnen wurde das am häufigsten verwendete Mononatriumglutamat früher durch Extrahierung aus Meeresalgen, was sehr aufwendig war. Deshalb wurde schon bald die Fermentation aus Melasse, Getreide, Kartoffeln und anderen stärkehaltigen pflanzlichen Produkten bevorzugt.
Heute ist Glutamat häufig gentechnischen Ursprungs. Das muss nicht deklariert werden, da der Zusatzstoff in geschlossenen Systemen mit Hilfe gentechnisch veränderter Bakterienstämme hergestellt und später «aufgereinigt» wird.
Am Ende der Produktionsprozesse steht ein weisses, wasserlösliches Pulver, das beinahe wie feines Speisesalz aussieht. Rund 20.000 Tonnen Glutamat werden in Deutschland jährlich verarbeitet. Das ist fünfmal so viel wie vor 1980.
Dosen-, Tiefkühl- und Conveniencegerichten jeder Art wird in aller Regel Glutamat beigegeben. Besonders viel findet sich in Kartoffelchips und anderen Knabbereien, Streuwürze, Gewürzmischungen, Tüten- und Dosensuppen, Bouillonwürfeln, Fonds, Würz- und Bratensaucen, Pizza, Ketchup und Wurstwaren.
Warum Glutamat in der Nahrungsmittelindustrie so beliebt ist? Der Umami-Geschmacksverstärker ist billig und erlaubt es, teure Rohstoffe – z.B. Fleisch, Shrimps, Käse, Pilze, Kräuter, Gewürze – einzusparen. So werden fade Gerichte preiswert aufgepeppt.
Der Blick auf die Zutatenliste schafft nicht immer Klarheit. Da zahlreiche Menschen immer kritischer auf den Zusatz von Glutamat reagieren, müssen die Verbraucher detektivisch vorgehen, denn der Zusatzstoff wird hinter anderen Begriffen versteckt.
Mononatriumglutamat, Glutamat oder E 620 bis 625 tauchen oft nicht auf, stattdessen finden sich Inhaltsstoffe wie: Geschmacksverstärker, Hefewürze, -extrakt, Würze, Speisewürze, Sojawürze, Pflanzenproteinextrakt, pflanzliche Würze, hydrolysiertes Hafermehl, Natrium- oder Kalziumkaseinat bzw. Milcheiweiss, Weizenprotein, fermentierter Weizen, Trockenmilcherzeugnis, gekörnte Brühe oder, ganz undurchsichtig, einfach nur Aroma (darf bis 30 Prozent Glutamat enthalten, ohne dass es deklariert werden muss).
Auf diese Weise kann freies Glutamat in einer Form verwendet werden, die von Gesetzes wegen keine E-Nummer braucht. So zählt etwa der Hefeextrakt – obwohl ausschliesslich als Quelle für geschmacksförderndes Glutamat zugefügt – laut Gesetz nicht zu den Geschmacksverstärkern. Man sollte auch wissen, dass selbst in Bio- und Ökoware Geschmacksverstärker grundsätzlich erlaubt sind. Es gibt aber auch Anbieter, die freiwillig darauf verzichten.
Der Kinderarzt Prof. Dr. Michael Hermanussen und die Ernährungswissenschaftlerin Ulrike Gonder sind überzeugt, dass in Lebensmittel zugefügtes Glutamat die Steuerung des Appetits stört und durch die Erhöhung der Esslust zur Entstehung von Übergewicht beiträgt. Sie gaben ihrem Buch über den Zusatzstoff den Titel «Gefrässig-Macher».
Zahlreiche nationale und internationale Institutionen gehen bislang davon aus, dass durch die Verwendung von Glutamat keine Gefahr für die Gesundheit bestehe. Eingeräumt wird, dass Personen mit schwerem Asthma möglicherweise eine besondere Empfindlichkeit gegenüber Glutamat aufweisen.
Einige Wissenschaftler haben jedoch starke Bedenken. Nicht nur wird Glutamat als Auslöser für Migräneattacken diskutiert, nach Tierversuchen mit teilweise hohen Glutamatdosen wird die Substanz gar verdächtigt, ein Nervenzellgift zu sein. So hält beispielsweise der renommierte Alzheimerforscher Prof. Konrad Beyreuther einen Zusammenhang zwischen grösseren Mengen von Glutamat und der Entstehung von Alzheimer und Parkinson für möglich. Ab welchem Wert Glutamat gefährlich wird, ist noch völlig unerforscht.
Andere Mediziner sind jedoch der Ansicht, dass die Blut-Hirn-Schranke bei Erwachsenen eine wirksame Barriere ist, um selbst hohe Dosen Glutamat von den Gehirnzellen fern zu halten. Diese natürliche Schranke funktioniert bei Menschen mit inneren Blutungen, Hirnhautentzündung oder Alzheimer allerdings nicht mehr lückenlos, so dass Glutamat aus der Nahrung über das Blut in die Gehirnzellen eindringen und Schaden anrichten könnte.
Auch wenn man nicht überempfindlich reagiert und deshalb sowohl auf die Menge des natürlichen als auch des künstlichen Glutamats achten muss, lohnt es sich – der Gesundheit zuliebe –, in jedem Fall die Zutatenlisten genau zu studieren und die Aufnahme des Zusatzstoffs weitgehend einzuschränken.
Dazu kommt: Zugesetzte Geschmacksverstärker stumpfen unseren Geschmackssinn so sehr ab, dass wir fein gewürztes Essen nicht mehr zu schätzen wissen. Vor allem Kinder und Jugendliche gewöhnen sich schnell an die geschmacksintensiven Nahrungsmittel und finden dann alles andere fad.